15. Januar 2017

Fleisch soll künftig von glücklichen Tieren kommen. Dafür brauchte es ein radikales Umdenken - und Klimaanlagen im Stall.

Von Katja Ridderbusch

Pontifex war, wenn man seinem Biografen glauben darf, ein glückliches Schwein. Er verbrachte sein acht Monate währendes Leben, das der österreichische Schriftsteller Christoph Ransmayr von der Geburt bis zum Tod durch Beil und Schlachtermesser begleitete, auf dem Hof eines niederösterreichischen Kleinbauern. Seinen päpstlichen Namen verdankte der Eber der Gewohnheit, Besucher aufgerichtet auf den Hinterhaxen zu empfangen, eine Klaue auf das Gatter gestützt, die andere, schreibt Ransmayr, „wie segnend ausgestreckt“.

Die meisten Hausschweine haben ein weniger glückliches Leben als Pontifex. Sie segnen nicht huldvoll vom Gartenzaun aus, sondern fristen ein Dasein im dunklen, engen Stall. In China, Deutschland und den USA wird weltweit am meisten Schweinefleisch produziert – doch da nicht jeder Verbraucher bereit ist, viel Geld dafür zu bezahlen, wird bei der Haltung der Tiere gespart. Aus Platzmangel und Langeweile knabbern die Schweine dann ihre Artgenossen an, Krankheiten häufen sich. Das soll sich nun ändern, zumindest wenn es nach Christian Schmidt und Anna Heaton geht. Der deutsche Landwirtschaftsminister und die Agrarwissenschaftlerin bei der amerikanischen Organisation Animal Welfare Approved wollen möglichst hohe Standards für die Nutztierhaltung durchsetzen.

Unklar ist, wie genau Schmidt Masttieren das Leben erleichtern möchte. Nur, dass er im ersten Schritt das Leben der Schweine tiergerechter machen möchte scheint sicher. Richtlinien seien dafür ein gutes Mittel, so Anna Heaton. „Meine Hoffnung ist, dass sich die Mehrheit der Landwirte sich zumindest ein bisschen an diesen Standards orientiert“, sagt sie. Um Schweine glücklich zu machen oder zumindest artgerecht zu halten muss erforscht werden, was sie genau mögen - und was nicht. Je mehr über das Innenleben der Tiere bekannt wird, umso deutlicher wird: Schweine haben eine komplexe Persönlichkeit – zudem stellen sie hohe Ansprüche an die Architektur ihrer Ställe.

USA und Deutschland sind nach China die Länder, in denen am meisten Schweine für die Lebensmittelherstellung gehalten werden. In den USA sind es 11,3 Millionen Tonnen Fleisch, in Deutschland 5,6 Millionen Tonnen, die pro Jahr produziert werden. Das ist sehr viel Fleisch, entsprechend verstörend wirken Berichte aus dem Alltag der Schweinemast: Die Tiere haben zu wenig Platz, bekommen zu viele Antibiotika, und wenn die Tiere geschlachtet werden, sind sie manchmal nicht ausreichend betäubt.

Dabei sei gerade das Schwein eine bemerkenswerte Kreatur, findet Eberhard von Borell. „Schweine haben starke kognitive Fähigkeiten“, sagt der Professor für Tierhaltung und Nutztierökologie an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg. „Sie lösen Aufgaben so wie sonst nur Primaten.“ Schweine können lernen, wie sie heißen und dass sie nur dann Futter bekommen, wenn der Landwirt sie einzeln aufruft. Schweine können sogar geradezu gerissen sein: Als sie noch Transponder-Halsbänder statt Ohrchips trugen, über die die individuelle Futterausgabe gesteuert wurde, verblüfften sie die Forscher: Verlor ein Schwein sein Halsband, schnappte sich ein anderes Tier blitzschnell den Fund und eilte damit zur Futterstation – so konnte es eine zusätzliche Ration ergattern.

Schweine beherrschen nicht nur Tricks, um sich mehr Futter zu ergaunern, sondern sie verfügen sogar über eine eigene Sprache: Der Wiener Veterinärmediziner Johannes Baumgartner hat 20 verschiedene Laute identifiziert, vom Grunzen und Quieken bis zum Jaulen, Brummen und Bellen. Stress, Schmerz und Angst können die Tiere damit ausdrücken. Andere Versuche haben gezeigt, dass Schweine tatsächlich unterschiedliche Persönlichkeiten und Stimmungslagen haben: Es gibt Optimisten und Pessimisten unter ihnen, neugierige und lethargische.

Die speziellen Eigenarten der Schweine stellten Tierhalter vor besondere Herausforderungen, sagt von Borell. „Wir tun diesen Tieren Unrecht, wenn wir sie einfach in dumpfe Ställe pferchen.“ Eines der größten Probleme der industriellen Schweinezucht: Platz. Mindestens einen Quadratmeter muss ein mehr als 110 Kilogramm schweres Mastschwein nach EU-Gesetz bekommen. Der National Pork Producers Council, der amerikanische Verband der Schweinefleischproduzenten, empfiehlt pro Nutzschwein 0,75 Quadratmeter.

„Das ist viel zu wenig Platz, in Europa wie in den USA“, ärgert sich Agrarwissenschaftlerin Heaton. Die Standards ihrer Tierschutzorganisation schreiben mindestens 2,3 Quadratmeter pro Schwein vor. Zudem müssten die Schweine auch Zugang zu einem Freiluftgehege haben. Dies ist in Deutschland nur auf Biohöfen vorgeschrieben. In der konventionellen Schweinehaltung werden die Tiere meist ausschließlich in klimatisierten Ställen gehalten.

„Schweine“, sagt von Borell, „sind eigentlich sehr saubere Tiere, ganz entgegen ihrem Ruf.“ Sie hätte das Bedürfnis, Liege- und Kotplatz voneinander zu trennen. Diese Sauberkeit sollen in der konventionellen Schweinehaltung Spaltenböden garantieren, bei denen die gesamte Bodenfläche mit Ritzen durchsetzt ist, durch die Kot und Urin abließen kann. Doch ausgerechnet diese Böden, auf denen die Huftiere unsicher stehen, führen bei ihnen häufig zu schweren, bisweilen eitrigen Gelenkentzündungen, zeigte eine Studie der Universität München.

Schweine sind schlau und neugierig. Deshalb brauchen sie ein interessantes Umfeld, um sich einigermaßen wohl zu fühlen - und keine triste Standbox. Sie mögen es, draußen in der Erde zu wühlen und sich zu suhlen. Sie stöbern gerne in Stroh, Heu und Torf und bauen dort ein Lager. Auch Spielzeug, etwa kleine Holzblöcke, verbessern das Leben von Schweinen. Nach einer EU-Richtlinie müssen Mastbetriebe deshalb Beschäftigungsmaterial in die Ställe geben. Damit sei die EU ebenfalls fortschrittlicher als die USA, wo es allenfalls unverbindliche Empfehlungen gebe, sagt Heaton. Doch auch in Europa sei die Umsetzung lückenhaft. „Häufig hängen Landwirte Ketten und Seile in den Ställen auf, aber das ist statisch“, sagt sie. „Die Tiere brauchen Material, das sie bearbeiten, verändern können.“

Schweine ohne Beschäftigung, die auf engem Raum leben, knabbern häufig an den Schwänzen ihrer Artgenossen. „Schwanzbeißen passiert vor allem, wenn Schweine gelangweilt, frustriert, gestresst sind“, erklärt die Agrarwissenschaftlerin. Um das zu verhindern, kupieren die Landwirte, auch auf Biohöfen, oft die Schwänze der Ferkel. Die EU empfiehlt zwar, die Ställe mit tiergerechtem, nicht nur mit statischem Spielzeug auszustatten, aber bindend ist das nicht. Noch nicht, sagt Michael Lohse vom Deutschen Bauernverband. “Tatsächlich sind wir klar auf dem Weg hin zu mehr Tierwohl.”

Dass die Tiere sehr sozial sind, ist eine weitere Herausforderung. Gerade trächtige Sauen sollten deshalb in Gruppen gehalten werden. In Großbritannien ist eine isolierte Haltung von Zuchtsauen seit 1999 untersagt; EU-weit ist seit 2013 ein teilweises Verbot in Kraft. Danach ist es Landwirten jedoch weiterhin gestattet, die Sauen nach der Besamung vier Wochen lang in sogenannten Kastenständen zu halten, um den Zuchterfolg zu erhöhen.

„Von dort aus kann die Sau zwar andere Tiere sehen, aber sie kann sich nicht umdrehen, geschweige denn ein Nest bauen“, sagt Heaton. In den USA haben zwar mittlerweile neun Bundesstaaten die Haltung trächtiger Sauen in Kastenständen verboten. Allerdings sind die meisten davon, wie Kalifornien, Florida und Maine, Staaten mit geringer Schweineproduktion. Im Mittleren Westen, dem Agrargürtel des USA, „werden die Tiere dagegen meist eingepfercht und häufig isoliert gehalten“. Reguliert oder kontrolliert wird kaum.

Eigentlich, so die Forscher, müsste man Schweinen fast schon kleine Wohnungen bauen: Der Stall müsste klimatisiert und in mehrere Bereiche eingeteilt sein. Die Schweine brauchten einen Liegeplatz mit Stroh, einen Kotplatz mit Spaltenboden, einen Platz mit Material zum Wühlen und Stöbern, sagt von Borell. Alles müsste groß genug sein und Zugang zu einer Freifläche haben. In einem idealen Stall würden sich die Schweine wohl fühlen und sie würden seltener krank. Erreger könnten sich nicht so rasant ausbreiten, und wenn es ein Schwein doch einmal schlecht würde, müsste nicht gleich der ganze Bestand mit Antibiotika behandelt werden – sondern nur einzelne Tiere.

Solche Idealställe gibt es allerdings kaum. In der Realität sei Nutztierhaltung immer ein Kompromiss zwischen dem Wohl der Tiere, den Klima- und Umweltschutzauflagen sowie den Gesetzen des Marktes, räumt von Borell ein. Bauernverbandsvertreter Lohse ergänzt: „Wenn man zum Beispiel eine Freilandhaltung fordert, stellt sich sofort auch die Frage nach der Belastung durch Ammoniak-Emissionen.“

Und natürlich kostet eine tiergerechtere Haltung viel Geld. „Der Verbraucher ist aber nicht bereit, einen höheren Preis zu zahlen“, sagt Lohse. Dennoch wollen Heaton und Schmidt sich für bessere Ställe einsetzen. Damit es in Zukunft mehr glückliche Schweine gibt. Schweine wie Pontifex.

 

Große Ställe, viele Schweine, viel Antibiotika

Über den Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung wird seit Jahren gestritten. Kritiker sehen den unangemessenen Einsatz der Mittel in der Tiermast als eine Ursache für die Verbreitung multiresistenter Keime.

Seit 2006 ist in der EU der prophylaktische Einsatz der Mittel verboten; seit 2014 muss zudem gemeldet werden, wenn Antibiotika verwendet werden. Mittlerweile geht der Verbrauch zurück: 2015 wurden in der Tiermedizin 800 Tonnen Antibiotika verabreicht, 50 Prozent weniger als 2011.

Dennoch wird im Alltag häufig der gesamte Bestand behandelt, selbst wenn nur einzelne Tiere krank sind. Peter Davies, Professor für Veterinärmedizin an der Universität von Minnesota in St. Paul, spricht sich dennoch für den Einsatz von Antibiotika in der Tiermast aus. "Sie werden weiterhin ein wichtiges Mittel bleiben, um die Gesundheit des Bestandes zu erhalten und die Sicherheit des Endprodukts zu garantieren."

© WeltN24 / Katja Ridderbusch