10. Juli 2016
Die CDC ist die mächtigste Seuchenschutzbehörde der Welt. Mit einem Milliardenbudget versuchen Tausende Mitarbeiter Epidemien zu managen oder sogar zu verhindern – und scheitern mitunter
Von Katja Ridderbusch
Atlanta - Ängste schürt Anne Schuchat nicht leichtfertig. Dafür ist sie zu sachlich, zu unaufgeregt, zu geerdet. Doch im Fall von Zika, jenem Virus, das von Mücken übertragen wird und schwere Schädelfehlbildungen bei ungeborenen Kindern auslösen kann, wählt sie deutliche Worte. "Zika ist gefährlich. Gefährlicher noch, als wir zunächst befürchtet haben."
Schuchat ist Ärztin im Admiralsrang des National Health Service, des öffentlichen Gesundheitsdienstes der USA. Aber vor allem ist sie Amerikas mächtigste Seuchenjägerin, Vizechefin der amerikanischen Gesundheits- und Seuchenschutzbehörde, der Centers for Disease Control and Prevention, kurz CDC.
Das Hauptquartier der Behörde befindet sich in Atlanta. Hier, in den Labors der größten Seuchenschutzbehörde der Welt, die ein Jahresbudget von mehr als sieben Milliarden Dollar verwaltet, findet der Wettlauf zwischen Mensch und Mikrobe statt. 15.000 Mitarbeiter, Ärzte, Naturwissenschaftler, Ökonomen, Ingenieure, IT-Experten, Katastrophenschützer und Krisenmanager, sind in den USA und in mehr als 50 Ländern im Einsatz. Sie analysieren die Seuchen der Vergangenheit, bekämpfen die der Gegenwart und versuchen, den Epidemien der Zukunft ein paar Schritte voraus zu sein. Ziel ist es, dass Erreger sich nicht ausbreiten, nicht mit Flugzeugen oder Containerschiffen reisen und eine Spur von Krankheit und Leid über den Globus ziehen können. "Heute sind wir vor allem mit Zika beschäftigt", sagt Schuchat. "Aber morgen kann es schon etwas anderes sein."
Es ist Donnerstag und der 161. Tag, seit die CDC Ende Januar den Gesundheitsnotstand wegen Zika aktiviert hat – und zwar auf der höchsten Alarmstufe. In ihrer Geschichte hat die Superbehörde eine so dringliche Warnung nur dreimal ausgesprochen: bei Hurrikan "Katrina" im Jahr 2005, beim Ausbruch von H1N1, der sogenannten Schweinegrippe im Jahr 2009 in den USA sowie bei der Ebola-Epidemie, die in Westafrika knapp zwei Jahre lang wütete.
Auf dem 61.000 Quadratmeter großen Gelände, das mit seinen sanften Hügeln, kantigen Steinmauern, verschachtelten Gebäuden, verspiegelten Fassaden und sorgsam gepflegten Beten wie ein zum Leben erwecktes Architekturmodell aussieht, herrscht dennoch gelassen-geschäftiges Treiben. Die hohen, symmetrisch gepflanzten Bäume werfen kleine Schattenflecke in der hellen Mittagssonne. Auch wenn in Südamerika und anderen Regionen dieser Welt Viren und Bakterien den Menschen den Tod bringen, ist von Aufregung nichts zu spüren. Hysterie und Panik sind zwei Dinge, die für Seuchenforscher und -manager absolut tabu sind.
Schuchat, Mitte 50, zierlich, mit grau meliertem Haar, einem offenen Gesicht und junger Stimme, macht sich auf den Weg von ihrem Büro hoch über dem Campus zum Emergency Operations Center (EOC) im dritten Stock des Hauptgebäudes. Sie geht durch ein Labyrinth von Skywalks und unterirdischen Gängen, durch schmale Sicherheitsschleusen und breite Türen aus Panzerglas.
Das EOC ist die Krisen-, Kommando- und Kommunikationszentrale der CDC, Regieraum und "war room" für den orchestrierten Kampf gegen die aktuell grassierende Seuche. Hier lässt sich Schuchat täglich über die aktuellen Entwicklungen unterrichten, vor allem an Tagen wie diesem, in denen sie als Chefin der Behörde fungiert. CDC-Direktor Tom Frieden ist in Washington, um beim Kongress zusätzliche Mittel für den Kampf gegen Zika zu beantragen. Die 1,1 Milliarden Dollar, die die US-Regierung für den Kampf gegen das Virus bereitgestellt hat, reichen nicht aus. Wenn also Frieden mit Politikern und Wirtschaftsbossen verhandelt, dann leitet Schuchat die Behörde.
Herzstück des EOC ist ein rechteckiger, fensterloser Raum mit niedrigen Decken und langen Reihen von Schreibtischen. Über riesige Monitore an der Wand flackern Karten, Daten und Grafiken, die sich ständig aktualisierten. Sie werfen ein garstiges Licht in den dämmrigen Raum. Einige Mitarbeiter sitzen vor je zwei oder drei Computerschirmen, die an Metallangeln hängen. Eine Gruppe quillt, leise murmelnd, aus einem Konferenzraum an der Rückseite des Raumes. Über digitale Anzeigentafeln an der Decke laufen aktuelle Meldungen und Updates über Krankheitsausbrüche in aller Welt.
Knapp 1200 Mitarbeiter der CDC seien am Kampf gegen das Zika-Virus beteiligt, sagt Jeff Bryant, Leiter des Stabs für Notfallplanung. Rund 250 von ihnen arbeiten in jeweils zwei, bisweilen auch drei Schichten im EOC, das rund um die Uhr besetzt ist. "Alle Bundes-, Landes- und kommunalen Behörden in den USA sowie die großen Forschungseinrichtungen und Unternehmen folgen dem gleichen Plan für Notfallmanagement, haben die gleiche Terminologie und die gleichen Ablaufpläne", erklärt Bryant, der zuvor als Biologe bei der amerikanischen Luftwaffe sowie bei der Katastrophenschutzagentur Fema arbeitete.
Im Krisenfall kommen im EOC-Mitarbeiter all der Abteilungen zusammen, die für eine schnelle, effiziente und koordinierte Reaktion auf den jeweiligen Gesundheitsnotstand wichtig sind. Im Fall von Zika seien das "ungewöhnlich viele", sagt Bryant. Darunter sind Epidemiologen, bei der CDC werden sie "Seuchendetektive" genannt. Sie erkunden die Herkunft, Verbreitung und Wirkung des Erregers. Die Labor-Gruppe arbeitet an der Entwicklung massentauglicher Diagnoseverfahren. Die Abteilungen für Schwangerschaft und Geburtsfehler analysieren den Krankheitsverlauf bei werdenden Müttern und die Fehlbildungen bei Neugeborenen. Die internationale Taskforce koordiniert die Hilfs- und Präventionsmaßnahmen mit den betroffenen Ländern und Territorien – vor allem Brasilien, Kolumbien, Puerto Rico. Das Team für globale Migration setzt Reisewarnungen auf.
Bei aller Betriebsamkeit werde es nur selten laut im Emergency Operations Center, sagt Bryant, auch nicht in Zeiten höchster Anspannung. "Dies sind erfahrene Kader von Krisenmanagern. Sie verbreiten Konzentration statt Chaos."
Lyle Petersen ist einer von ihnen. Der Kampf gegen Zika, sagt er, sei "komplexer als all unsere bisherigen Kriseneinsätze". Der Arzt und Epidemiologe ist bei der CDC für vektorübertragene Infektionen zuständig, für Krankheiten also, die von Gliederfüßern wie Mücken, Fliegen, Flöhen oder Läusen übertragen werden. Petersen ist ein hochgewachsener Mann mit bleicher Haut und welligem rotblonden Haar. Er arbeitet normalerweise in der Außenstelle der CDC in Colorado, doch seit Januar ist er in Atlanta stationiert. "Und wer weiß, wie lange noch", sagt er, reibt mit den Händen durch sein Gesicht und schaut kurz auf sein Smartphone, das auf der Tischplatte vor ihm liegt und alle paar Sekunden mit einem dumpfen Surren auf sich aufmerksam macht.
Mittlerweile sind Menschen in mehr als 50 Ländern mit dem Virus infiziert. Zika wird vor allem von der Stechmückenart Aedes aegypti übertragen, die in tropischen und subtropischen Regionen siedelt. Lateinamerika ist besonders schwer betroffen, aber auch im feuchtheißen Süden der USA erwartet die CDC Infektionen während der Sommermonate. Petersen hält auch "vereinzelte Ausbrüche in Südeuropa für durchaus möglich".
Trotz der fieberhaften Arbeit der Seuchenjäger gibt es derzeit mehr Fragen als Antworten zum Zika-Virus, das zum ersten Mal 1947 bei Rhesus-Affen im Zika-Urwald von Uganda nachgewiesen wurde. So gibt es bislang noch keine schnellen Tests, die eine Infektion nachweisen – oder sicher ausschließen können. Es steht zwar fest, dass das Virus bei ungeborenen Kindern eine Mikrozephalie auslösen kann. Babys werden mit ungewöhnlich kleinem Kopf und Gehirnschäden geboren. Aber ob das in einem, in zehn oder in 20 Prozent der Schwangerschaften passiert, ist unklar. Keiner weiß, ob ein Kind, das bei der Geburt normal aussieht, sich später auch normal entwickelt.
Mittlerweile ist geklärt, dass die Viren sexuell übertragbar sind. Aber wie lange das nach der Infektion der Fall ist, bleibt unklar. Vorsorglich empfiehlt die CDC deshalb, sechs Monate nach einer bestätigten oder vermuteten Zika-Infektion mit Kondomen zu verhüten.
Zusammen mit dem Nationalen Gesundheitsinstitut arbeitet die Behörde unter Hochdruck an der Entwicklung eines Impfstoffs. Erste klinische Studien sollen im Herbst beginnen; doch bis das Mittel auf den Markt kommt, könnte noch ein Jahr vergehen. "Wir erwarten, dass es einen Impfstoff geben wird", sagt CDC-Vizechefin Schuchat. "Aber eben nicht sofort." In der Zwischenzeit müssen traditionelle Maßnahmen ausreichen: von Mückenspray über Moskitonetze bis zum Reisestopp.
Mittlerweile werden auch Stimmen lauter, die eine Verschiebung der Olympischen Spiele fordern. Die sollen im August in Rio de Janeiro beginnen. Rund 250 Ärzte und Wissenschaftler haben in einem offenen Brief an die Weltgesundheitsorganisation WHO auf die Gefahren des Virus hingewiesen. Mehrere Sportler haben ihre Teilnahme wegen Zika abgesagt, darunter der australische Profigolfer Jason Day und sein irischer Kollege Rory McIlroy.
Reaktionen, die Anne Schuchat trotz all ihrer Sorge ob der verheerenden Wirkung des Virus für übertrieben hält. "Wir bei der CDC sehen keinen Grund, warum die Olympischen Spiele verschoben werden sollten." Schwangere Frauen, setzt sie hinzu, sollten grundsätzlich nicht in Zika-Regionen reisen. Für alle anderen gälten die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen. Da ist sie wieder, die große Gelassenheit der CDC-Chefin.
Bei der öffentlichen Aufklärung über Gesundheitsgefahren fühlen sich Schuchat und ihre Kollegen häufig hin- und hergerissen, bei Zika mehr als bei anderen Seuchen. Auf der einen Seite nähmen viele Menschen die Gefahr, die von Zika ausgehe, nicht recht ernst, sagt Wissenschaftler Petersen. Schließlich hätten die meisten Betroffenen keine oder nur leichte Symptome. "Außerdem sterben die Menschen auch nicht reihenweise auf der Straße, so wie bei Ebola." Die Katastrophe beginne erst neun Monate später – und dauere dann ein Leben lang an.
Auf der anderen Seite darf und will die CDC keine Hysterie verbreiten. "Deshalb ist eine klare, saubere Kommunikation in Krisensituationen wichtig", sagt Schuchat und hält dann inne. "Manchmal ist der Schaden, der durch Gerüchte, Mythen und Stigmata hervorgerufen wird, größer als der, den die Krankheitserreger selbst verursachen."
Die Balance zwischen Warnung und Aufklärung zu halten ist seit je ein Schlüsselauftrag der CDC. Die Behörde wurde 1946 als Bundesagentur zur Bekämpfung von Malaria gegründet. Als Schuchat 1988 bei der CDC anfing, hatte sich der Zuständigkeitsbereich zwar deutlich erweitert. Doch von einer ausgeklügelten Krisenreaktionsstruktur war die Behörde noch weit entfernt.
Schuchat erinnert sich an den ersten Gesundheitsnotstand, den sie bei der CDC miterlebte. "Das war 1993; da kam es zu einem Ausbruch von Hantaviren im Westen der USA." Das Emergency Operations Center existierte damals noch nicht. Die Experten versammelten sich in einem zur Krisenzentrale umfunktionierten Auditorium. "Gelbe Post-it-Zettelchen waren das Kommunikationsmittel der Stunde", erzählt sie und lacht leise. "Wir liefen alle mit diesen Blöcken in den Händen herum und klebten Hunderte von Nachrichten auf Telefone und Schreibtische."
Seitdem gab es viele globale Gesundheitskrisen, die aus dem Herzen des CDC-Campus in Atlanta gemanagt wurden. Die bislang größte war der Kampf gegen das Ebola-Virus, das 2014 in Westafrika ausbrach und knapp 11.400 Menschen tötete. Als die ersten mit Ebola infizierten Amerikaner, ein Arzt und eine Krankenschwester, im Sommer 2014 aus Liberia nach Atlanta geflogen und im nahe gelegenen Emory-Universitätskrankenhaus behandelt wurden, trat ein Notfallplan der CDC in Kraft, der reibungslos und bis ins Detail funktionierte.
Zugleich aber brachte Ebola ganz eigene Herausforderungen. Liberia, Guinea und Sierra Leone, die drei westafrikanischen Länder, in denen die Seuche besonders wild wütete, "hatten keine funktionierende Gesundheitsinfrastruktur", sagt Katastrophenschützer Jeff Bryant. "Das machte die Zusammenarbeit extrem schwierig."
Jeder Ausbruch, jeder Gesundheitsnotstand wirft für die CDC-Mitarbeiter neue Fragen auf. "Wir revidieren, wir korrigieren, wir planen", sagt Schuchat. "Und wir üben, immer und immer wieder." Auch während einer laufenden Krise, um bereit zu sein für die nächste.
So wohlgeölt die Krisenreaktionsmaschinerie der CDC auch laufen mag, so trübe bleibt der Blick in die Glaskugel. "Ich spekuliere nicht über den nächsten Ausbruch", sagt Petersen. "Es gibt 500 verschiedene Viren, die von Mücken, Flöhen und Zecken übertragen werden." Und jedes einzelne könne die nächste große Seuche auslösen.
"Wir haben nicht erwartet, dass Ebola in Westafrika ausbrechen würde", sagt Anne Schuchat. "Wir haben auch Zika nicht kommen sehen." Die Frage sei nicht, ob in Zukunft wieder eine Seuche ausbricht, "sondern wann – und wo".
Allerdings gibt es Vorhersagen. Sie beruhen auf Berichten, die die Seuchendetektive der CDC aus aller Welt in die Zentrale schicken. Auf Berichten internationaler Gesundheitsbehörden und Partnerorganisationen. Auch auf Big Data, Informationen aus dem Internet, aus sozialen Netzwerken, die von Experten übersetzt, analysiert, überprüft und ausgewertet werden. Auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und saisonalen Trends. Und auf wiederkehrenden Mustern und Routen der globalen Pandemien.
"Im Spätsommer beginnt in Amerika die Hurrikan-Saison", sagt Schuchat. Mit den tropischen Wirbelstürmen steigt stets auch die Seuchengefahr. Zudem löse das Influenza-Virus mit seinen immer neuen Strängen Jahr für Jahr zuverlässig Epidemien aus. Die CDC arbeite zusammen mit ihren Partnerorganisationen in den USA und aller Welt an der Prävention, insbesondere der Entwicklung von Impfstoffen. "Auch die zunehmende Resistenz von Mikroben ist eine Herausforderung der Zukunft, die absehbar ist", sagt die Seuchenmanagerin.
Die Einschläge kommen, so scheint es zumindest, immer näher. Schlafend geglaubte Seuchen kehren mit Wucht zurück, neue Erreger geben ihren Einstand und altbekannte mutieren. Ebola, Gelbfiber, Zika oder auch die Pest oder Polio. Kaum eine Woche vergeht ohne die Nachricht über eine alte oder neue Seuche, die irgendwo auf der Welt ihr Unwesen treibt.
Ist das eine trügerische, katastrophengierige Wahrnehmung – oder Wirklichkeit? Beides, meint Schuchat. Systeme zur Überwachung und Früherkennung von Krankheitsausbrüchen würden immer zuverlässiger, und zugleich verbreiteten sich wahre, halbwahre oder falsche Informationen immer rasanter.
Globalisierung, Urbanisierung und Umweltfaktoren tragen aber auch dazu bei, dass Erreger sich schneller verbreiten, weiter streuen und verheerender wirken als je zuvor. Megastädte und dicht besiedelte Gebiete seien perfekte Brutstätten für Pathogene, sagt Anne Schuchat. "Wäre Zika in einem abgelegenen Ort ausgebrochen, wäre das Virus vermutlich nie außer Kontrolle geraten."
Die Mikroben des 21. Jahrhunderts sind, ebenso wie die Menschen, mobil. Zika, so vermuten Forscher, sei 2014 während der Fußball-WM in Brasilien von einem Reisenden aus Afrika oder Asien eingeschleppt worden. "Es ist eine Tatsache", sagt Amerikas Seuchenjägerin lakonisch: "Das nächste Virus ist nur ein paar Flugstunden von uns entfernt."
© WeltN24 / Katja Ridderbusch