7. März 2017
Evolution? Unsinn! Die Bibel hat recht, wir haben einen Schöpfer. Klimawandel? Ein „Hoax“. Statistiken? Sind zum Löschen da. Donald Trumps Team zertrümmert die Welt der Wissenschaft. Amerikas Forscher sind verunsichert – und wehren sich.
Von Katja Ridderbusch
Wissenschaftler sind normalerweise gelassene Leute – keine jedenfalls, die laut die Trommeln schlagen und aufgeregte politische Debatten führen. Doch in den USA ist nichts normal in diesen Tagen.
Vor Kurzem trafen sich in Boston 10.000 Forscher aller Fachrichtungen, von Astrophysik bis Zoologie, zur Jahreskonferenz der American Association for the Advancement of Science (AAAS), des weltweit größtes Wissenschaftsverbandes. Thema Nummer eins bei diesem wie bei anderen Forschertreffen: die Zukunft der Wissenschaft unter Präsident Donald Trump.
Die bisherigen Entscheidungen der neuen Administration seien „besorgniserregend“, sagte AAAS-Präsidentin Barbara Schaal. „Es ist unsere Aufgabe, ein kraftvolles Plädoyer für die Rolle der Wissenschaft abzugeben.“
Die Angst vor dem Ende der Forschungsfreiheit
Knapp sechs Wochen ist Trump mittlerweile im Amt, und unter Amerikas Forschern herrsche „Verunsicherung, große Verunsicherung“, sagt John Krige, Wissenschaftshistoriker am Georgia Institute of Technology. Verunsicherung – und Angst vor dem Ende der Forschungsfreiheit und einem Versiegen der Fördergelder.
Das kann Lawrence Krauss nur bestätigen. „Kein Wunder“, sagt der theoretische Physiker an der Arizona State University, „schließlich haben wir es mit einer Gruppe von Leuten zu tun, die großenteils keine Ahnung von Wissenschaft haben, die alternative Fakten hochleben lassen und die Realität leugnen.“ Krauss ist Autor mehrerer Wissenschaftsbestseller wie „Die Physik von Star Trek“ und „Ein Universum aus Nichts“. Sein neues Buch, „The Greatest Story Ever Told“, beschäftigt sich mit der Illusion von Realität.
Zwar will sich der umtriebige Forscher nicht von der grassierenden Untergangsstimmung anstecken lassen. „Derzeit sehen wir mehr Furcht als Fakten“, sagt er. Allerdings: Es gebe einige Hinweise, wohin die Reise der Regierung gehe.
Klimaschutz-Forschung unter Druck
Zum Beispiel beim Klimaschutz. Im Wahlkampf bezeichnete Trump Klimawandel und Erderwärmung als „Hoax“. Wenige Stunden nach seiner Amtseinführung verschwanden dann die Daten zur Klimaforschung von der Website des Weißen Hauses. Einige Wissenschaftler und Umweltaktivisten fürchten nun, dass auch die Datensätze selbst gelöscht werden könnten und haben deshalb begonnen, Kopien auf unabhängigen Servern zu speichern.
Forscher wie Krauss und Krige bezweifeln zwar, dass die Klimadaten selbst komplett gelöscht würden. „Aber der öffentliche Zugang wird eingeschränkt“, sagt Krige. Das passiert in den USA nicht zum ersten Mal. Nach den Anschlägen von 9/11 zog die damalige Regierung von George W. Buch Hunderttausende von vermeintlich sensiblen wissenschaftlichen Daten und Dokumenten aus der öffentlichen Domäne zurück, um deren potenziellen Missbrauch durch Terroristen zu vermeiden.
Die Trump-Administration gab jetzt außerdem an zahlreiche Behörden die Weisung aus, dass bestimmte Informationen vor ihrer Veröffentlichung künftig durch höhere Regierungsstellen geprüft werden müssten. Einige Wissenschaftler beklagten bereits, man habe ihnen einen Maulkorb verpasst. „Auch das ist nicht neu“, sagt Krauss. „Eine neue Administration versucht erst einmal, Kontrolle zu gewinnen.“
Bedenklicher findet der Physiker eine Reihe zentraler Personalentscheidungen. So kündigte Scott Pruitt, der neue Chef der Umweltschutzbehörde EPA an, die unter Präsent Obama erarbeiteten strengeren Klimaschutzregulierungen zurückzufahren.
In seiner vorherigen Position als Staatsanwalt von Oklahoma hatte Pruitt noch eine Klage gegen genau die Organisation eingeleitet, der er nun vorsteht. Die EPA, 1970 von dem republikanischen Präsidenten Richard Nixon gegründet, überwacht und steuert die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften.
Minister, die als Fehlbesetzungen gelten
Eine weitere umstrittene Personalie ist Betsy DeVos, milliardenschwere Philanthropin aus Michigan und neue Bildungsministerin. Sie steht nicht nur dem öffentlichen Schulsystem skeptisch gegenüber, sondern auch Darwins Evolutionstheorie – ebenso übrigens wie Vizepräsident Mike Pence, ein evangelikaler Christ und Anhänger des Kreationismus, jener Überzeugung, dass das Leben auf der Erde durch den Eingriff eines Schöpfers entstanden sei.
Vor allem den gerade bestätigten Energieminister Rick Perry hält Krauss für eine krasse Fehlbesetzung. Der ehemalige Gouverneur von Texas kannte bis vor einigen Jahren nicht einmal den Namen des Ministeriums, das er demnächst leiten soll. Er gilt als hartnäckiger Klimaskeptiker mit engen Verbindungen zur Ölindustrie, „minimalen Kenntnissen von Kernkraft und ihrer Wirkung“ sowie wenig Interesse an erneuerbaren Energien, sagt Krauss.
Außerdem beunruhigt die Forscher eine Vakanz: Noch immer hat Trump den Posten des wissenschaftlichen Beraters im Weißen Haus nicht besetzt. „Wir hoffen, der Präsident versteht, dass ein solcher Berater ihm bei Krisen der verschiedensten Art zur Seite stehen kann“, sagt Rush Holt, CEO der Wissenschaftsvereinigung AAAS, „sei es bei der Explosion einer Ölplattform oder beim Ausbruch einer Epidemie“.
Als aussichtsreichster Kandidat gilt derzeit William Happer, Physiker an der Princeton-Universität mit solider akademischer Reputation und der strammen Überzeugung, dass der Klimawandel zum Vorteil für die Menschheit sei.
Sorge um die Zukunft der Fördermittel
Aus all diesen Elementen ergebe sich ein klares Bild, sagt Historiker Krige: „Dies ist eine Regierung, die Wissenschaft im besten Fall ignoriert und im schlimmsten Fall ablehnt.“ Deshalb sei die Sorge seiner Kollegen um eine Einschränkung der Forschungsfreiheit real – ebenso wie die Sorge um die Zukunft der Fördermittel.
Eine der ersten Behörden, die die neuen politischen Prioritäten zu spüren bekommt, dürfte neben der EPA die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) sein, eine der führenden staatlichen Agenturen zur Klimaforschung. Wie die „Washington Post“ jetzt berichtete, plant das Weiße Haus, das Budget der Behörde um 17 Prozent zu kürzen, und zwar vor allem bei den Satellitenprogrammen.
Die Umweltbehörde EPA dürfte als eine der ersten Regierungsagenturen die Kosten der neuen politischen Prioritäten zu spüren bekommen. Vor wenigen Tagen kündigte Trump an, das Verteidigungsbudget um 54 Mrd. Dollar, oder zehn Prozent, aufzustocken – und in anderen Bereichen wie der medizinischen Forschung, der Pharmaaufsicht, der Veteranenversorgung – und eben bei der ungeliebten Umweltagentur Einschnitte vorzunehmen. Aus dem Weißen Haus verlautete, der EPA-Stab von 15.000 Mitarbeitern könnte auf ein Drittel reduziert werden.
Auch andere staatlich finanzierte Forschungsprogramme dürften auf den Prüfstand kommen. So sieht Krige neben der Klima- und der Stammzellenforschung vor allem die Grundlagenforschung in Gefahr, nicht nur in den Natur-, sondern auch den Geistes- und Sozialwissenschaften. „Alle Forschungsbereiche, die bestehende Annahmen anzweifeln und Machtstrukturen kritisch hinterfragen, sind von Einschnitten bedroht.“
Bald nur noch anwendungsbezogene Forschung?
Krauss geht davon aus, dass in Zukunft vor allem anwendungsbezogene Forschung die Gunst der Regierung findet, „Forschung an Produkten, die im nächsten Jahr auf den Markt kommen“. Krauss findet das gefährlich – nicht nur, weil Grundlagenforschung wichtig für die Kultur eines Landes sei. Langfristig schade dieser Ansatz der globalen Rolle der USA, politisch wie ökonomisch. „Dies ist der sicherste Weg, zu einer zweitklassigen Macht zu werden.“
Auch Trumps Plan, 2019 eine neue Mondmission zu starten, hält Krauss „aus rein wissenschaftlicher Perspektive für Geldverschwendung“. Aber, sagt der Physiker und zuckt mit den Schultern, „das ist vielleicht die große Vision dieser Administration“.
Bei all den düsteren Aussichten ist immerhin die Finanzierung von zwei biomedizinischen Programmen für die nächsten zehn Jahre gesichert: die Brain-Initiative zum molekularen Aufbau des Gehirns sowie ein Forschungsprojekt zur Präzisionsmedizin. Beide Programme gingen noch 2016 durch den Kongress.
Die tiefe Verunsicherung über die Zukunft der Forschung in den USA hat auch dazu geführt, dass die Wissenschafts-Community selbst gespalten ist. Der „March for Science“, der am 22. April in Washington nach dem Vorbild des „Women’s March“ stattfinden soll, hat nicht nur Freunde unter amerikanischen Forschern.
So befürchten Kritiker des geplanten Protestmarsches einen Bumerangeffekt; demonstrierende Wissenschaftler könnten das Bild einer seriösen, evidenzbasierten Forschung untergraben und der Administration in die Hände spielen.
Einige Bundesagenturen taten sich gar mit vorauseilendem Gehorsam hervor. So sagte die US-Gesundheits- und Seuchenschutzbehörde CDC in Atlanta bereits im Dezember eine für Februar geplante Klimakonferenz ab, gab zur Begründung „geänderte Budgetprioritäten“ an und schwieg seither zu dem Thema.
Das Ganze geschah ohne Not, denn die neue Administration war noch gar nicht im Amt. Vor allem Klimaschutzaktivisten wie Ian Karra von der Organisation Sierra Club geißelten die Entscheidung der Behörde als „verstörend“.
Angst und Rechtfertigungsdruck haben Folgen
Systeme wie die gegenwärtige Regierung verbreiteten ein Klima von Angst, Nervosität und Rechtfertigungsdruck, sagt Wissenschaftshistoriker John Krige. „Aus Furcht vor möglichen Sanktionen tun einzelne Spieler genau das, was die Regierung will. Sie machen gewissermaßen die Arbeit für sie.“
Lawrence Krauss setzt jedenfalls auf den politischen Aktivismus einiger seiner Forscherkollegen. Die gemeinnützige Organisation 314 Action, benannt nach der Kreiszahl Pi, will Wissenschaftler dabei unterstützen, für politische Ämter zu kandidieren. Das sei zwar nicht unbedingt die vorrangige Aufgabe von Forschern, sagt Krauss. Aber jede Aktion sei willkommen, die die Wissenschaft in den Fokus rücke.
Denn: „Viele Forscher sind faul geworden in den letzten Jahrzehnten“, räumt der Physiker ein. Sie bemühten sich nicht mehr, zu erklären, was Wissenschaft eigentlich sei – nämlich „ein Prozess des Entdeckens und Erfahrens, des Fragens und Verstehens, der Trennung von Sinn und Unsinn.“
© WeltN24 / Katja Ridderbusch