11. März 2019
Angelika Kausche aus Wuppertal hat im Republikanerland Georgia etwas scheinbar Unmögliches geschafft – sie hat für die Demokraten einen Sitz im Abgeordnetenhaus geholt. Ihre Motivation: Empörung über den Präsidenten.
Von Katja Ridderbusch
„Hallo, ich bin Angelika, und ich möchte dich im Repräsentantenhaus vertreten.“ Das ist der Satz, den Angelika Kausche wohl mehrere tausend Mal gesagt hat. Sie hat während ihres Wahlkampfs an sehr, sehr viele Türen geklopft. Und die Mühe hat sich gelohnt: Mit knapper, aber klarer Mehrheit wählten die Bewohner von District 50 – das ist der Wahlbezirk von Johns Creek, einer Kleinstadt nördlich von Atlanta – die Betriebswirtin aus Wuppertal im vergangenen November ins Repräsentantenhaus des US-Bundesstaates Georgia.
Hätte ihr jemand noch vor zwei Jahren prophezeit, dass sie in die Politik gehen würde, „hätte ich wohl gesagt: du bist verrückt“, sagt Kausche. Jetzt sitzt sie als frisch gewählte Abgeordnete in ihrem winzigen Büro gegenüber dem Kapitol von Georgia. Die Wände sind kahl, Kisten mit Büchern und Papieren stapeln sich hinter ihrem Schreibtisch, sie hatte noch keine Zeit, sich einzurichten.
Kausche, 56, groß, schlank, mit brauner Bobfrisur und entspanntem Lachen, ist eine von vier Einwanderinnen im Repräsentantenhaus von Georgia. Sie ist die erste Abgeordnete mit deutschen Wurzeln in der Geschichte des Südstaats, und die erste Demokratin, die in Johns Creek einen Sitz erringen konnte – in einem Bezirk, der so fest in republikanischer Hand schien, dass die Demokratische Partei sich in den letzten Jahren nicht einmal die Mühe machte, dort einen Kandidaten aufzustellen.
Dennoch trat Kausche an. Ihr Slogan: „Angelika for Georgia“. Sie hat aus dem Stand gewonnen, ohne die sonst übliche, jahrelange Ochsentour durch die Lokalpolitik. Und sie hat es geschafft, obwohl sie und ihr Mann Fabian in Johns Creek noch nicht besonders gut verwurzelt sind. Seit dreieinhalb Jahren lebt das Paar hier erst, die Töchter studieren in anderen Städten. Die Kausches gehören weder dem Golf noch dem Country Club an. Und sie sind auch in keiner Kirchengemeinde aktiv.
Auch ihre Themenschwerpunkte schienen Kausche, die liberale Europäerin, nicht unbedingt für einen Erfolg im konservativen amerikanischen Vorstadtland zu prädestinieren: erschwingliche Krankenversicherung, mehr Chancengleichheit in der Bildung und eine Umweltpolitik, die im Alltag verankert ist. Eigentlich alles Ko-Kriterien für jemanden, der in einem konservativen Milieu überzeugen will.
Doch Kausches Wahlsieg ist nur auf den ersten Blick überraschend, meint Daniel Franklin, Professor für Politische Wissenschaft an der Georgia State University in Atlanta. „Immer mehr Frauen und immer mehr Einwanderer kandidieren für politische Ämter, auf der Bundesebene ebenso wie in den Einzelstaaten.“
So zogen nach den Midtermwahlen im vergangenen November 102 weibliche Abgeordnete ins US-Repräsentantenhaus ein – ein Rekord. Jeder fünfte US-Kongressabgeordnete gehört heute einer ethnischen Minderheit an oder ist selbst nicht in den USA geboren. Der Kongress von Georgia hat einen Frauenanteil von 30,5 Prozent, und liegt damit leicht über dem nationalen Durchschnitt.
Außerdem liege Kausche mit ihrer Motivation, sich zu politisch zu engagieren, durchaus im Trend, betont Franklin. Sie habe sich zwar immer für aktuelle Ereignisse interessiert, sagt Kausche, und sie war aktiv in ihrem Nachbarschaftsverband. Doch das Ereignis, das sie nachhaltig politisierte, war die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten Ende 2016. „Das war der Moment, als ich gesagt habe: Ich muss etwas tun.“
Die erste Chance dazu bot sich 2017, bei einer Nachwahl in Georgia zum US-Repräsentantenhaus. Zu dem betreffenden Bezirk gehörte auch Johns Creek. Kausche beschloss, dort für den demokratischen Kandidaten Jon Ossoff, einen jungen Dokumentarfilmer, zu trommeln. Ossoffs Kampagne wurde zu einem der teuersten Kongresswahlkämpfe aller Zeiten, zur ersten Testwahl der Trump-Präsidentschaft – und für Kausche zum Crashkurs im politischen Engagement an der Basis.
„Am Anfang war es eine riesige Überwindung für mich, von Tür zu Tür zu gehen und mit Leuten zureden“, sagt Kausche. „Aber dann habe ich gemerkt, dass ich ein Händchen dafür habe. Ich wusste es bis dahin nur nicht“, sagt sie und wirkt dabei selbst immer noch ein bisschen überrascht.
Mit den Zuwanderern kam der Wohlstand
Amit Arora kann das nur bestätigen. „Angelika ist eine sehr geradlinige, sehr hartnäckige und sehr tüchtige Wahlkämpferin“, sagt der Software-Ingenieur, der vor 30 Jahren aus Indien in die USA auswanderte. Früher hat er für die Republikaner gestimmt, aber seit Trumps Wahl fürchtet er um die politischen Institutionen des Landes. Deshalb entschied er sich, für Jon Ossoff Wahlkampf zu machen – und später für die Kandidatin Kausche zu stimmen. „Ich teile nicht alle ihre politischen Positionen“, sagt Arora, in der Gesundheitspolitik und der Bildungspolitik zum Beispiel. Dennoch: Ihr Einsatz für Einwanderer habe seine Bedenken aufgewogen.
Zu Beginn ihres eigenen Wahlkampfs habe sie sich schnell der Schlüsselfrage stellen müssen: Passt du zu deinem Wahlkreis? „Da war ich mir erst gar nicht so sicher“, sagt Kausche. Aber je mehr sie über ihren Bezirk lernte, desto sicherer sei sie geworden.
Tatsächlich hat sich Johns Creek in den vergangenen Jahren stark gewandelt: Fast 50 Prozent der Bewohner sind heute Einwanderer vor allem aus dem asiatischen Raum: Indian, Pakistan, China, Korea. Das Ausbildungsniveau ist hoch, viele der Zuwanderer arbeiten in der IT-Industrie oder als Ärzte. Johns Creek ist eine der wohlhabendsten Städte in Georgia, das Durchschnittseinkommen einer Familie liegt hier bei etwa 140.000 Dollar im Jahr.
Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 lag Hillary Clinton in Johns Creek nur knapp hinter Trump. Und auch Jon Ossoff verlor die Nachwahl nur knapp. „Deshalb wussten wir: Johns Creek ist ein swing district“, sagt Kausche, ein Bezirk mit Wechselwählern. „Und wir wussten auch: Wir können hier gewinnen.“
Dass sie einmal über die Geschicke der Bewohner Georgias mitentscheiden würde, findet sie selbst am unglaublichsten. Am Anfang fand sie es in Amerika nämlich gar nicht so toll. „Aus Europa in eine amerikanische Kleinstadt im Mittleren Westen zu ziehen – das war schon ziemlich heftig“, erinnert sich Kausche.
Sie wuchs in Wuppertal, Krefeld, Marburg und Bocholt auf. Studierte BWL in Trier, unterbrochen von einem Auslandssemester in den USA und einem Praktikum in Lesotho. Arbeitete in München und in Hannover, wo sie ihren Mann kennenlernte, der von Hause aus Tierarzt ist und in der Forschung arbeitet. Die Familie zog nach Heppenheim. 1997 bekam Fabian Kausche das Angebot, für seine Firma in die USA zu gehen, nach Kalamazoo im Bundesstaat Michigan. Da waren die beiden Töchter zwei Jahre beziehungsweise fünf Monate alt.
„Wir sind die Politik“
Es gab in Kalamazoo keine internationale Community. Auch hatte sie als mitreisende Ehefrau keine Arbeitserlaubnis. Sie entschloss sich, zur Uni zu gehen, machte einen Masters in Wirtschaftskommunikation. Als Fabian Kausche 2004 nach North Carolina in den amerikanischen Süden, versetzt wurde, wussten die Kausches längst: Sie wollten in den USA bleiben. 2011 wurden sie amerikanische Staatsbürger.
In North Carolina arbeitete Angelika Kausche als Lehrbeauftragte an der privaten Elon-Universität und an der öffentlichen University of North Carolina in Greensboro.
Es sei vor allem ihr Hintergrund als Einwanderin, die sie für die Wähler in Johns Creek attraktiv mache, glaubt Kausche selbst. Sie ermutigt andere, politisch aktiv zu werden. „Wir haben uns bewusst entschieden, die USA zu unserer Heimat zu machen.“ Deshalb könne man jetzt nicht einfach sagen: Das ist die Sache der Politiker. „Wir sind die Politik. Wir gehören dazu. Es liegt auch an uns, das Land zu gestalten.“
Die Kausches leben seit 2015 in Johns Creek – in einem großen Backsteinhaus am Ende einer Sackgasse, mit hohen Decken, glänzenden Holzdielen und riesigen Fensterfronten, von denen sich der Blick auf Wiesen und gepflegte Vorgärten öffnet. Sie fühle sich hier inzwischen zu Hause, sagt Kausche, als sie an einem diesigen Samstagmorgen vor ihrem Laptop am Esstisch sitzt. „Hier wollen wir so schnell nicht mehr weg.“
Das Leben als Politikerin empfindet sie als Herausforderung. „Ich muss noch sehr viel lernen.“ Die Abläufe, die Regeln, die Rituale. Was ihr an der neuen Rolle besonders gut gefällt, ist, dass sie viel mit Menschen in Kontakt ist, die sie sonst nie kennengelernt hätte.
Die Abgeordneten im Plenum sitzen nicht nach Parteizugehörigkeit, sondern der Sprecher des Hauses bestimmt die Sitzordnung. Und die ist gemischt – da sitzen Demokraten neben Republikanern, Neulinge neben altgedienten Volksvertretern. „Wir sind gezwungen, miteinander zu sprechen“, sagt Kausche. „Da gibt es nicht so viele Möglichkeiten, ein Feindbild aufzubauen und zu pflegen.“
Das sei typisch für viele Landesparlamente in den USA mit „Laien-Abgeordneten“, sagt Politikwissenschaftler Franklin. Mit Volksvertretern wie Kausche also, die keine Profi-Politiker seien, sondern aus den verschiedensten Lebenswelten kämen. „Deshalb geht es im Kongress von Georgia bei allen politischen Differenzen auch viel weniger parteistrategisch zu als im US-Kongress in Washington.“
Wie erfolgreich Kausche mit ihrer politischen Agenda sein werde, hänge ganz von ihrem Geschick ab, sagt Franklin. Vor allem in der Gesundheitspolitik bewegt sich derzeit viel in Georgia; die Chancen stehen gut, dass Medicaid, die staatliche Krankenversicherung für Unterprivilegierte, ausgeweitet wird.
Zwischen zwei Extremen
„Wird Angelika Kausche eine große Gesetzesvorlage einbringen? Eher nicht“, sagt Franklin. „Aber mit ihrer Erfahrung als Europäerin könne sie im Hintergrund Ideen beisteuern, die dann in die Gesetzgebung einfließen. „Vorausgesetzt, sie ist bereit, auch überparteilich zu arbeiten, Kompromisse zu suchen.“
Kein Problem für Kausche. Ihr Anliegen ist es, die Politik in Georgia mit ein paar mehr Zwischentönen einzufärben. So will sie bei ihren Kollegen das Bewusstsein dafür schärfen, dass es „viele Modelle der Gesundheitsversorgung zwischen den beiden Extremen gibt, zwischen einem rein staatlichen und einem rein marktwirtschaftlichen System – und dass es sich lohnt, diese näher anzuschauen“.
Mit den anderen drei Einwanderern im Kongress von Georgia, Abgeordneten aus Mexiko, Jamaika und Bangladesch, will Kausche ein Komitee gründen. „Wir repräsentieren verschiedene Länder und Kulturen, wir haben verschiedene Geschichten, die im Ergebnis aber alle sehr amerikanisch sind.“
© WeltN24 / Katja Ridderbusch